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Warum erscheint geschriebene Sprache so spät nach dem Ursprung des Menschen?

Geschriebene Sprache ist ein Ausdruck des symbolischen Denkens. Diese Fähigkeit erklärt die außerordentliche kognitive Fähigkeit, die Menschen kennzeichnet. Durch symbolisches Denken kann der Mensch die Welt mittels diskreter Symbole darstellen.Diese Symbole kann er in beinah endlose Variationen kombinieren. Mittels dieser Fähigkeit können Menschen sich andere Wirklichkeiten vorstellen und darüber nachdenken.

Aber wann ist die geschriebene Sprache zuerst erschienen? Ein Facebook Freund hat mir die Frage gestellt:

Die geschriebene Sprache erscheint offenbar erst um die 4000 v. Chr., oder? Wie bringt man das in Einklang mit dem historischen christlichen Verständnis der Entstehung der Menschheit (auch unser Verständnis hier bei RTB), insofern wir den Menschen für das einzige Geschöpf, das im Ebenbild Gottes geschaffen wurde, halten? Sollen wir glauben, dass wir mit einer reifen Kommunikationsfähigkeit samt geschriebener Sprache geschaffen wurden? Wenn so, sollten wir auch erwarten, dass wir Beweise der geschriebenen Sprache aus einem früheren Zeitalter entdecken würden?

Geschriebene Sprache ist nur eine Form des symbolischen Denkens. Gesprochene Sprache und Gestik—sowie Kunst, Musik, und Schmuck—drücken alle Symbolfähigkeit aus. Selbst unser technologischer Erfindungsreichtum zeigt diese Symbolfähigkeit. Der Biologe Jeffrey Schwartz und der Anthropologe Ian Tattersall beschreiben die Beziehung zwischen Anthropozentrismus und symbolischen Denken folgendermaßen:

So außerordentlich der Homo sapiens  morphologisch schon sein mag, sind unsere bemerkenswerte kognitive Eigenschaften das, was uns am Stärksten von allen anderen bestehenden Spezies unterscheidet. Diese sind bestimmt die Qualitäten, die uns das subjektive Gefühl vermitteln, dass wir qualitativ anders sind. Diese sind Letzten Endes auf unsere Symbolfähigkeit zurückzuführen. Scheinbar können wir Menschen allein die Welt mental in eine Vielzahl diskreter Symbole zu zerlegen und diese Symbole in ihren Gedanken kombinieren und rekombinieren können und dadurch Hypothesen der alternativen Möglichkeiten hervorbringen.1

Es ist wichtig, hier zu erwähnen, dass symbolisches Denken nicht nur eine Augmentation der nicht-symbolischen Fähigkeiten ist. Stattdessen ist es was völlig Anders. Schwartz und Tattersall schreiben weiter: “Symbolische und nicht-symbolische kognitive Zustände sind klar durch eine qualitative Kluft getrennt: Ersteres ist keine einfache Erweiterung des Letzteren. Es ist nicht nur ein wenig mehr von dem Gleichen.2

Obwohl Tiere kommunizieren, haben sie nicht die grenzenslose Fähigkeit haben, durch Symbole zu kommunizieren. Diese Fähigkeit ist kennzeichnend für die menschliche Sprache.

Als Christ halte ich die menschliche Symbolfähigkeit des Menschen für eine Auswirkung der imago dei im Menschen. Wenn symbolisches Denken mit der Gottebenbildlichkeit verbunden ist, soll diese Fähigkeit allein in den Menschen vorkommen. Beweise für symbolisches Denken in den archäologischen Befunden sollen gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der modernen Menschen erscheinen. Diese zwei Erwartungen sind tatsächliche Schlüsselvorhersagen von RTBs Modell für den Ursprung des Menschen. Das ausführliche Modell finden Sie in Who Was Adam?)

Es gibt sprechende Beweise dafür, dass symbolisches Denken (in Form von Kunst und gesprochener Sprache) zeitgleich mit dem Ursprung des modernen Menschen erscheint. Es gibt auch sprechende Beweise dafür, dass nur Menschen die Symbolfähigkeit besitzen. Behauptungen, dass Neandertaler Kunst geschaffen hatten, halten der genauen Untersuchung nicht stand. (Details können sie die der Liste der Ressourcen unten entnehmen.)

Wenn Symbole gleichzeitig mit der Entstehung des modernen Menschen erscheinen, warum dauert es so lange, bis die geschriebene Sprache erscheint? Die wissenschaftlichen Daten zeigen uns, dass moderne Menschen vor um die 100.000 bis 150.000 Jahren erschienen—aber die älteste geschriebene Sprache, Sumerisch, entstand erst in Mesopotamien um 3200 v.Chr.

Wir sollen an dieser Stelle betonen, dass die Symbolfähigkeit,  die geschriebene Sprache möglich macht, schon lange vorhanden war. Menschen hatten schon lange gesprochene Worten als vergängliche Symbole gebraucht; geschriebene Sprache stellt diese vergänglichen Symbole nur permanent dar. In diesem Sinne scheint es, als ob die geschriebene Sprache eine späte Erfindung der Menschen ist. Es ist wahrscheinlich das Beste, wenn wir die Entwicklung der geschriebenen Sprache als eine technische  Innovation betrachten, die aus der kulturellen Evolution hervorkam, und keine Manifestation einer neuen menschlichen Fähigkeit.

Obwohl wir heute sehr viel fortgeschrittener sind, unterscheiden wir uns von unseren jüngsten Vorfahren in der kognitiven Fähigkeit gar nicht. Das Gleiche gilt, wenn wir unsere Fähigkeiten heute mit denen der ersten modernen Menschen vergleichen. Zum Beispiel, sie haben Elfenbeinnädel benutzt, Tierhäute zusammenzunähen; heute benutzen wir computergesteuerte Nähmaschinen, um Kleidung und synthetische Textilien herzustellen. Beide Technologien widerspiegeln die menschliche Symbolfähigkeit. Der einzig-wahre Unterschied besteht aus Jahrtausenden kultureller Evolution (die übrigens durch unsere Symbolfähigkeit getrieben wurde). Das gleiche gilt der geschriebenen Sprache.

Hinsichtlich der Entstehung der geschriebenen Sprache weisen viele Archäologen darauf hin, dass die Vorläufer der geschriebenen Sprache schon vorhanden waren, als der Mensch seine globale Auswanderung begann (vor um die 60.000 Jahren). Anthropologin Genevieve von Petzinger hat das Argument aufgeführt,  dass es 32 geometrischen Zeichen gibt, die auf Höhlenwänden überall in Europa und Südost-Asien hervorkommen, und dass diese auf ein Alter von 40.000 bis 10.000 Jahren zu datieren sind. (Siehe Ressourcenliste unten) Diese geometrische Zeichen kommen auf diesen Höhlenwänden weit häufiger als künstlerische Tierdarstellungen. Sie bleiben auch weitgehend unverändert über einem großen geographischen Raum sowie über eine sehr lange Zeitspanne. Von Petzinger schlägt vor, dass diese Beständigkeit zeigt, dass diese Symbole wahrscheinlich eine Art der graphischen Kommunikation darstellen, eine Art Proto-Schrift also. Die Tatsache, dass diese Symbole in Höhlenfundstätten in Europe und Südost-Asien zeigen, dass die ersten modernen Menschen schon vor 60.000 Jahren eine Proto-Schrift hatten.

Meines Wissens gibt es keine Beweise solcher Höhlenmalerei in geometrischen Formen in Höhlenstätten in Afrika aber Archäologen haben in der Blombos Höhle in Südafrika Gravuren mit roten Ocker  gefunden, die symbolisches Denken aufweisen. Können diese Gravuren Beispiele der Proto-Schrift sein?

Fazit: Dass die geschriebene Sprache spät erscheint, soll kein Problem fürs traditionelle biblische Verständnis vom Ursprung des Menschen sein (oder das RTB-Modell der Entstehung des Menschen). Es gibt keine Diskrepanz zwischen dem biblischen Berichts und der archäologischen Funde, wenn geschriebene Sprache korrekt als technische Innovation gesehen wird, die aus dem Gebrauch von geometrischen Symbolen entwickelt wurde, und vielleicht bis zum Ursprung der Menschheit zurückgeht. Geschriebene Sprache und vorschriftliche Symbole sind Manifestationen der menschlichen Symbolfähigkeit, die die Gottesebenbildlichkeit in der Menschheit widerspiegeln.

Weiterführende Lektüre

Endnoten
  1. Ian Tattersall und Jeffrey Schwartz, “Evolution of the Genus Homo,” Annual Review of Earth and Planetary Sciences 37 (Mai 2009): 81.
  2. Ebenda.